Nachlass Karl Ulmer

[Leben] Karl Ulmer, am 24. August 1915 in Hamburg geboren, studierte in Hamburg, Köln und Freiburg Philosophie, Geschichte, Mathematik und Physik. Er war niemals Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen. In Freiburg wurde er Schüler Martin Heideggers. Während des II. Weltkriegs war er Leutnant der Reserve und wurde mit einer Dissertation „Die Bedeutung der Kopula bei Aristoteles” von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln zum Doktor der Philosophie promoviert. Als Offizier arbeitete er in Fronturlauben (z.T. aufgrund von Verwundungen) seine Habilitationsschrift „Untersuchungen über die metaphysischen Voraussetzungen der modernen Technik” aus, die von Heidegger betreut wurde, mit der er sich am 22. Dezember 1944 an der Universität Freiburg habilitierte und die unter dem Titel „Wahrheit, Kunst und Natur bei Aristoteles. Ein Beitrag zur Aufklärung der metaphysischen Herkunft der modernen Technik” 1953 im Druck erschien. 1946 bis 1954 nahm er eine Assistenten-Stelle am Philosophischen Seminar der Universität Freiburg ein. Er heiratete und bekam mit seiner Frau zwei Kinder. 1949 wurde er zum Dozenten, 1953 zum außerplanmäßigen Professor in Freiburg ernannt, 1957 auf eine außerordentliche Professur für Philosophie, 1963 auf einen Lehrstuhl für Philosophie der Universität Tübingen berufen. 1970 nahm er einen Ruf an die Universität Wien an. Er starb nach schwerer Erkrankung am 13. April 1981 in Wien.


[Werk] Von Martin Heidegger hatte Karl Ulmer die „Dimension“ der Aufgabe der Philosophie neu erfahren, und er begann bald, diese Dimension eigenständig auszuschreiten. Dem galt zunächst seine Schrift Von der Sache der Philosophie (zuerst 1952 bei Alber in Freiburg), in der er die Dimension der Philosophie nach den leitenden Begriffen Horizont und Ferne, Standpunkt und Boden, Anblick und Öffnung systematisch ausmaß, dann seine in der Nietzsche-Forschung bis heute beachtete Monographie Nietzsche. Einheit und Sinn seines Werkes, das zunächst in zwei Teilen unter dem Titel „Orientierung über Nietzsche” in der Zeitschrift für philosophische Forschung (1958/59), dann (1962) im Francke Verlag Bern/München erschien. Ulmer setzte sich stark auch für eine Neubesinnung der Universitäten für ihre Aufgabe ein. 1972 erschien sein Hauptwerk Philosophie der modernen Lebenswelt, das ursprünglich den Titel „Weltorientierung” tragen sollte und in dem er (im Sinn von Platons VII. Brief) „von der rechten Philosophie her der gerechten Ordnung des gesamten politischen und privaten Lebens ansichtig werden” wollte. Dies geschah nun im Anschluss an Wilhelm Dilthey und in Auseinandersetzung mit der gesamten Tradition der europäischen Philosophie. In einer Hermeneutik des alltäglichen Lebens wies Ulmer die „Weltbahnen” des Menschen in seinen Verhältnissen zur Natur, zu Seinesgleichen, zum Göttlichen und zu sich selbst neu auf und glich sie mit den „Grundgliederungen” der menschlichen Lebenswelt an den Universitäten, den allgemeinbildenden Schulen und in den Regierungen ab, um einerseits an ihnen Maß zu nehmen und ihnen andererseits aus systematischer philosophischer Besinnung ein neues Maß zu geben. Auf diesem Weg sollte die Philosophie der modernen Lebenswelt die „spekulative Dimension” der Philosophie neu eröffnen, an deren Ausführung Ulmer jedoch durch Krankheit und Tod gehindert wurde.

[Edition des Nachlasses] Der Nachlass umfasst vor allem Entwürfe und erste Ausarbeitungen zur „spekulativen Dimension” der Philosophie. Außerdem lagen drei Aufsätze nahezu druckreif vor, die von Werner Stegmaier, dem von Karl Ulmer testamentarisch bestellten Nachlassverwalter, in geringfügiger redaktioneller Bearbeitung herausgegeben wurden:

  • Karl Ulmer, Fortschrittsglaube – und was dann? Eine philosophische Betrachtung der modernen Welt, in: Stuttgarter Zeitung vom 9. Jan. 1982.
  • Karl Ulmer, Nietzsches Philosophie in ihrer Bedeutung für die Gestaltung der Weltgesellschaft. Der Ausbruch aus der Universitätsphilosophie II”, hg. v. Werner Stegmaier, in: Nietzsche-Studien 12 (1983), 51-79.
  • Karl Ulmer, Die Verantwortung der Philosophie als Wissenschaft oder Die Verwechslung des Einfältigen mit dem Einfachen, hg. v. Werner Stegmaier, in: Perspektiven der Philosophie 11 (1985), 299-313.

Karl Ulmer hatte mit dem damaligen Leiter des Instituts für Angewandte Systemanalyse, Laxenburg bei Wien (IASA), und späteren Vorstandsvorsitzenden der Kernforschungsanlage Jülich, Wolf Häfele, einen systematischen naturwissenschaftlich-philosophischen Dialog begonnen, der die parallelen Abstraktionsstufen in Philosophie, Physik und Technik bis in die Gegenwart erschließen sollte. Der Dialog war bis zur ersten von fünf Abstraktionsstufen vorgedrungen. Er wurde nach Ulmers Tod von Wolf Häfele und Werner Stegmaier fortgeführt und unter dem Titel Bedingungen der Zukunft. Ein naturwissenschaftlich-philosophischen Dialog im Verlag Frommann-Holzboog Stuttgart-Bad Cannstatt 1987 veröffentlicht.

Der Nachlass Karl Ulmers wurde von Werner Stegmaier im Jahr 2000 der Universitätsbibliothek Greifswald vermacht und kann dort eingesehen werden.